Katalogtext zum Förderpreis Bildende Kunst der Schering Stiftung 2005
Armin Zweite
Es sind Kinder, die die suggestiven Bilder von Cornelia Renz beleben: Mädchen zumeist, highheeled oder mit spitzen Stiefeletten, engen Trikotagen oder mit knappen Höschen, die das Geschlecht markieren. Und wenn sie nackt erscheinen, dann hat solche ostentative Entblößung nichts Erotisches, nichts Obszönes oder Vulgäres, sondern wirkt gleichsam neutralisierend, zumal der physiognomische Ausdruck in seiner Mischung aus Scham und Verwunderung Jenen Eindruck von Unschuld bekräftigt, die das Outfit so betont konterkariert. Solche Widersprüche und Mehrdeutigkeiten prägen dann auch den szenischen Zusammenhang, in dem die Gestalten auftauchen. Wir begegnen stummen Zeugen, entschlossenen Akteuren oder einfach nur figurativen Zeichen, die verbal vermittelte Botschaften ins Absurde kippen lassen. Obwohl mit Werkzeugen ausgestattet, erscheinen beispielsweise die Zwillinge (Eve's Garage) wie sprachlose Beobachter eines Verkehrsunfalls, wobei das, was zwischen die beiden frontal zusammen gestoßenen Wagen geraten ist, sich monströs aufgebläht und alle Erinnerungen an ein Transportmittel oder andere Formen und Funktionen gelöscht hat. Oder wir sehen wie bei Combat eine martialisch aufgerüstete Gestalt im Begriff ist, das stachlige Rieseninsekt im gefährlich wuchernden Blütengarten anzugreifen. Estragon, nur mit Strumpfhaltern und Stiefeln bekleidet, posiert nackt auf einer Liege, fixiert den Betrachter und lenkt damit ein wenig von der abstrusen Konstellation ab, die sich darin manifestiert, dass das Lämmchen im Arm zwar auf Sodomie anzuspielen scheint, während durch den Bildraum schwebende Seifenblasen eher lustig und spielerisch wirken könnten, würden sie sich nicht hinter dem Kopf des Jungen in einen ausufernden Nimbus verwandeln. Liege und Strauch hingegen verleihen dem Ambiente einen spießigen Touch. Solche Diskrepanzen werden noch durch den Titel verstärkt, spielt er doch einerseits auf das Gewürz an und ruft uns zugleich Estragon, genannt Gogo, aus Becketts Warten auf Godot ins Gedächtnis, zwei Assoziationen, die freilich in diesem Fall durch nichts bestätigt werden.
Absichtlich, so müssen wir folgern, führt die verbal gelegte Fährte ins Nirgendwo. So betrachtet werden Brüchigkeit von innerer Bildlogik und bewusste Irreführung des Betrachters zu durchgängigen Strukturmerkmalen der Werke von Cornelia Renz, wobei motivische und inhaltliche Verwerfungen sich nicht immer unmittelbar aufdrängen, sondern erst im reflektieren den Sehen deutlich werden. In anderen Fällen legt es die Künstlerin indessen darauf an, den Collage-Effekt besonders hervorzukehren, und die Kombination des Heterogenen zu betonen. Das ist bei Jägermeister der Fall, wo der Brunftschrei des Hirschs dem sich räkelnden Girl gilt, das sich auf die Werbebanderole des bekannten Magenbitters verirrt hat. Affektierte Animierpose und stilisierte Animalität sind in gleicher Weise einem ornamentalen Zugriff unterworfen, ohne dass damit der surreale Eindruck abgeschwächt würde. Das gilt in gewisser Weise auch für die kleineren Arbeiten. Puppy beispielsweise führt uns eine bizarre Situation vor, insofern als der Welpe durch eine Nabelschnur mit dem nackten Mädchen verbunden ist, während im Hintergrund das Blütendekor von Hello Kitty aufleuchtet. Insgesamt ein grausiges Tableau, das einen verstörenden Eindruck von großer Intensität hinterlässt. Die Marke steht bekanntlich für jenen weit gefächerten Bereich von Konsumgütern unterschiedlichster Art. Die aus dem Bereich des Nützlichen in eine kindliche Sphäre überführten Utensilien beuten schamlos das Bedürfnis nach emotionaler Befriedigung der Kleinen aus, wobei unterstellt wird, dass dieses falsche Glücksgefühl außerhalb der extrem kitschigen Produktpalette nicht zu haben ist.
Der anschauliche Charakter der Arbeiten von Cornelia Renz wird durch ungebrochene Farben bestimmt, denen durchweg etwas Artifizielles anhaftet. Es sind Linien, die schwingen, sich bündeln, wölben, Volumen suggerieren und sich in manchen Partien dem Muster oder Ornament annähern. Aber es bleibt bei lockerer Verwandtschaft, denn statt Wiederholung ähnlicher Strukturen folgen schnell Variation und Widerspruch. Das verleiht den flächigen Strukturen Spannung und gibt den grafischen Elementen Halt und Zusammenhang. Zeichnung verwandelt sich in Malerei wie umgekehrt alle malerischen Effekte in Signale und Zeichen umschlagen können. Die Inszenierung der Sujets scheint vordergründig und banal. Sie macht Anleihen bei geläufigen Kompositionsprinzipien, wie sie die Kunst seit langer Zeit praktiziert und wie sie letztlich auch die Comics beherrschen. Mit dieser Bildsprache operiert die Künstlerin souverän, verschränkt dann aber das Sinnfällige mit dem Absurden, das Normale mit dem Abnormen, das Alltägliche mit dem Unverhofften. So wie unser Blick immer wieder zwischen den Linien in weiße Leere fällt, so öffnet sich auch ein Zwiespalt zwischen den Motiven und ihrer Funktion im dargestellten Geschehen, zwischen narrativen Momenten und ihren Bedeutungen. Was einfach anmutet und doch vielfältig ist, wirkt gleichsam als Warnung vor jenen Surrogaten, auf die man in den szenischen Darstellungen trifft. Die Tableaus sind, wie wir gesehen hatten, von einem Personal bevölkert, das uns zunächst vertraut vorkommt. Der zweite Blick erst macht das Monströse evident, das den Betrachter fesselt und ihn zugleich in eine Sphäre entführt, wo Libido und Panik, Sentimentalität und Schrecken, das Unschuldige und das Abgebrühte eine unheilige Allianz eingehen.
Cornelia Renz reagiert mit ihren Werken auf ein spezifisches Zeitgefühl. Das zeichnet sich dadurch aus, dass die Emanzipationshorizonte offenbar weitgehend verbaut sind und dass der Existenzgrund bodenlos geworden zu sein scheint. In Frage gestellt sind anscheinend auch Verhaltensnormen und Anstandsregeln. Die sozialen Rollen definieren sich, so der Eindruck, kaum noch über Funktion, Aufgabe, Status von Personen, sondern über die Codierung der jeweiligen Erscheinung, die sich durch Ausstattung und Maskerade definiert. Anstelle von Gemeinschaft tritt zumeist Isolation. Das Personal der Bilder ist einsam, verbiestert und aggressiv, manchmal auch ängstlich, unsicher und traurig. Alles in allem deuten solche in den Werken artikulierten Symptome darauf hin, dass die Identität des Subjekts in Frage gestellt ist. Der Verlust an Selbstgewissheit geht dabei so weit, dass gekünstelte Posen und vorgezeigte Sexualität, die Abgründigkeit des Daseins und die Hoffnungslosigkeit, mit sich selbst identisch zu werden, das Farbenfrohe der Darstellungen als Horrorszenario enthüllen. Es gelingt der Künstlerin dabei überzeugend, für diese symptomatische Befindlichkeit eine eigene Bildsprache zu entwickeln. Vorgeprägte Formeln verschwistern sich dabei mit innovativen Ansätzen so konsequent, dass die stilistische Unverwechselbarkeit gewahrt bleibt, wie auch immer die Sujets im Einzelnen ausfallen. Das vor allem hat die Jury bei der Vergabe des Preises ebenso überzeugt wie die Tatsache, dass das bisherige Oeuvre der Künstlerin nicht nur von Stringenz und innerer Notwendigkeit geprägt ist, sondern dass ihr die Zustandsbeschreibung eines komplexen zivilisatorischen Prozesses in Bildfindungen von hoher Präsenz gelingt.
© Armin Zweite
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